Haltet euer Herz bereit by Maxim Leo

Haltet euer Herz bereit by Maxim Leo

Autor:Maxim Leo
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: PeP eBooks
veröffentlicht: 2010-06-16T22:00:00+00:00


Ich besuche Sigrid. Sie wohnt jetzt in einem Altenheim der Arbeiterwohlfahrt in Hohenschönhausen. Es macht Spaß, sie zu besuchen, weil sie sich immer so freut. Oma Sigrid habe ich mein erstes ernst zu nehmendes Alkoholerlebnis zu verdanken. Als ich vierzehn war, habe ich mit ihr zusammen auf dem Zeltplatz eine halbe Flasche Eierlikör geleert. Sie erzählte dann nur noch vom Krieg, und ich konnte irgendwann gar nichts mehr sagen. Als Kind war sie meine Lieblingsoma, weil ich bei ihr bis zum Sendeschluss Fernsehen gucken konnte und so viel Käsetorte essen durfte, bis mir schlecht wurde. Ich konnte machen, was ich wollte, sie fand mich immer toll, weil ich ja wie ihr »Wernerle« war. Sigrid kann sich noch gut an die ersten Jahre mit Werner erinnern. An die Bootsfahrten im Tegeler See, an die Skiurlaube in Kärnten, an die Radtouren nach Birkenwerder und an die Kinobesuche am Kurfürstendamm. Sie arbeitete als Stenotopistin im Warenhaus »Raddatz & Co« in der Leipziger Straße. Sie haben Ausflüge mit dem Turnverein gemacht und in einer Theatergruppe gespielt. Sigrids Augen leuchten, wenn sie von dieser Zeit erzählt. »Dieses ganze Durcheinander war vorbei, meine Mutter hat schön gekocht, und ich hatte den Werner. Das waren die glücklichsten Jahre meines Lebens.«

Das einzig Störende, sagt Sigrid, waren diese ständigen politischen Diskussionen. Wenn Werner von etwas überzeugt gewesen sei, dann hätte er immer auch alle anderen überzeugen wollen. Werner sei begeistert gewesen vom Nationalsozialismus, er hätte geschwärmt von der neuen Zeit, von den neuen Möglichkeiten. »Er mochte die Ordnung, das Zackige.« Und er hätte eben endlich wieder Arbeit gehabt. »Nazismus ist Edelkommunismus«, hat er ihr immer wieder gesagt. Sigrid hat nicht genau verstanden, was er damit meinte, und sie hat auch nicht gefragt, weil sie es viel schöner fand, mit Werner zu tanzen, als mit ihm über Politik zu reden. Aber mit ihrem Vater Fritz, mit dem habe Werner gestritten, sagt sie. Abende lang habe Werner auf ihn eingeredet, aber Fritz, der eher mit den Kommunisten sympathisierte, wehrte sich, wollte sich nicht überzeugen lassen.

Wolf erzählt sogar, einmal sei der Streit so heftig gewesen, dass Werner seinem Schwiegervater damit drohte, ihn wegen regierungsfeindlicher Hetze anzuzeigen. Werner sei dann auch gleich losgerannt zur Polizeiwache, aber die war schon geschlossen. Am nächsten Tag sei sein Zorn verraucht gewesen, und so sei Fritz von einer Anzeige verschont geblieben.

An diese Sache kann sich Sigrid nicht erinnern. Es kommt ihr eher übertrieben vor. Andererseits, sagt sie, erinnere sie sich eben auch am liebsten an die schönen Dinge. Wolf sagt, die Geschichte mit der Anzeige habe sich genau so zugetragen. Fritz habe ihm das alles erzählt, und der habe nicht zu Übertreibungen geneigt. Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Kann man vergessen, dass der Mann, den man geliebt hat, den eigenen Vater ans Messer liefern wollte? Oder musste Sigrid das vergessen, weil sie es sonst gar nicht mehr ausgehalten hätte mit Werner? Wenn es stimmt, was wäre wohl mit Fritz passiert, wenn die Polizeiwache zufällig noch offen gewesen wäre?

Sigrid erzählt von einem Streit mit Werner nach der Hochzeit, als sie ihre erste Wohnung, ein Zimmer in Pankow, gefunden hatten.



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